Betriebsvereinbarung verhindert Mindestlohn
Das Urteil des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom Mittwoch dieser Woche ist niederschmetternd.
Arbeitsvertraglich hat meine Mandantin gem. § 4 die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes in Höhe von 50 % des im Fälligkeitsmonat vereinbarten Entgelts und ein Weihnachtsgeld ebenfalls in Höhe von 50 % des vereinbarten Lohns als Sonderzuwendung vereinbart. Die Betriebsvereinbarung "Inkrafttreten Mindestlohngesetz" der Klinik Service Center GmbH mit dem Betriebsrat des selben Unternehmens vom 08.12.2014 sieht vor, dass arbeitsvertragliche Jahressonderzahlungen (Jahresurlaubsgeld, Weihnachtsgeld) in Höhe von 1/12 für jeden Kalendermonat zur betriebsüblichen Fälligkeit der Monatsvergütung zur Zahlung fällig werden.
Nach wie vor weist die Lohnabrechnung meiner Mandantin 1.391,36 € brutto, also nur einen Stundenlohn von rund 8,03 € bei einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden aus; dies entspricht dem Grundlohn wie vor Einführung des Mindeslohngesetzes. Die Höhe ihrer Grundvergütung hat sich seit Einführung des Mindestlohngesetzes am 01.01.2015 also nicht geändert. Einziger Unterschied ist, dass die Lohnabrechnung für April 2016 eine Grundvergütung 1.391,36 €, Urlaubsgeld (1/12) in Höhe von 57,97 €, Weihnachtsgeld (1/12) in Höhe von 57,97 € nebst Zuschläge, also einen Betrag von 1.507,30 € ausweist. Der Zuschlag für Sonntagsarbeit wurde auf Basis von 8,00 €, statt auf Basis des Mindestlohnes berechnet.
Nach Auffassung der Richter aus Erfurt tritt jedoch der gesetzliche Mindestlohn als eigenständiger Anspruch neben die bisherigen Anspruchsgrundlagen, verändert diese aber nicht. Der nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch meiner Mandantin für den Zeitraum Januar bis November 2015 sei nach Auffassung der Richter erfüllt, "denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahrssonderzahlungen komme Erfüllungswirkung zu".
Es ist zu befürchten, dass dieses Geschäftsmodell der Klinik Service Center GmbH Nachahmer finden wird. Der gesetzliche Mindestlohn liegt bei 1.473,33 €, also 8,50 € je Stunde bei einer 40 Stundenwoche. Durch die gesplittete Auszahlung der Sonderzahlungen hat die Klinik Service Center GmbH also erreicht, dass ihr Grundgehalt entgegen dem Mindestlohn nicht angehoben wurde.
Vor diesem Hintergrund hat sich für meine Mandantin die Betriebsvereinbarung "Inkrafttreten Mindestlohn" geradezu als ein Instrument der Verhinderung des Mindestlohngesetzes herausgestellt. Wie die Reaktionen der Öffentlichkeit auf das gestrige Urteil zeigen, kann auch nicht Sinn des Mindestlohngesetztes sein, dass in vertragliche Positionen eingegriffen werden, also Vermögenswerte eingeschränkt werden, die vertraglich vereinbart wurden. Die Enttäuschung der betroffenen Mitarbeiter ist groß.
Tipp:
Nach wie vor sollte dringend davon Abstand genommen werden, Änderungsverträge zu unterschreiben. Vielfach stellt sich erst später heraus, ob die Vereinbarung wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz, welches am 01.01.2015 in Kraft getreten ist, vorliegt.
Meines Erachtens nach hat der fünfte Senat den Sinn und Zweck des Mindestlohngesetzes als Schutz von Arbeitnehmern/innen vor Armut - gerade auch im Alter verkannt. Fakt ist, dass der gesetzliche Mindestlohn von 1.473,33 € auch nach 45 Beitragsjahren nicht für eine Rente oberhalb der Grundsicherung reicht.
Hierfür müsste nach Auskunft der Bundesregierung der Stundenlohn bei 11,68 € liegen. Anstelle der Zubilligung einer Lücke im Gesetz bedarf es also eigentlich der Anhebung des Mindestlohns auf 11,68 €, um aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Nettorente zu bekommen, die höher liegt als 788,00 € - den durchschnittlichen Bruttobedarf der Grundsicherung im Alter. Grundlage dieser Berechnung ist eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden und 45 Arbeitsjahre.
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