Die zweifelhafte Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen

Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich auch ein Anspruch auf ein "faires Verfahren". Ein solches ist durch ein Verlangen nach verfahrensrechtlicher "Waffengleichheit" von Ankläger und Beschuldigten gekennzeichnet und soll dem Schutz des Beschuldigten dienen. 

Nach dem aktuellen Stand der Forschung hat sich die Struktur des deutschen Strafverfahrens faktisch zum Nachteil des Angeklagten entwickelt. Durch die vorherige Aktenkenntnis des Richters und Zulassung der Anklage hat sich der Richter gem. § 203 der Strafprozessordnung bereits ein gesetzlich zwingendes "Vor-urteil" des hinreichenden Verdachts gegen den Angeklagten gebildet. 

Entscheidend zum Nachteil des Angeklagten wirkt sich die eingeschränkte Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, die den Vorwurf der Anklageschrift stützen sollen, durch den Richter aus. Obwohl sich in Zivilverfahren aus einer statistischen Untersuchung ergeben hat, dass, wenn nur ein Zeuge zur Verfügung steht, dem Zeu-gen in zirka 97% der Fälle geglaubt wird - weiß jeder Praktiker, dass es ausgeschlos-sen ist, dass nur ca. 3 % der Zeugen irren oder lügen. 

Aus fachanwaltlicher Sicht stellt das beste Instrumentarium zur Beurteilung der Zeugenaussage die wissenschaftliche Aussageanalyse dar. Nur leider fehlen in der Praxis den meisten mit der Vernehmung beschäftigten Richtern die notwendigen Kenntnisse. Was folgt, sind die nachfolgend beispielhaft geschilderten Begründungs-muster. 

Als ein Kriterium für die Glaubhaftigkeit der Aussagebeurteilung wird in vielfach die angebliche Nichtwidersprüchlichkeit der Aussage als Kriterium angesehen. Das führt zu der absurden Beobachtungen, dass selbst einfachste Fragen, zum Beispiel ob die Ampelstellung grün oder rot war, nach diesem Kriterium gewürdigt wird. Benennt der Zeuge die Farbe, ohne sich zu widersprechen, so ist er glaubwürdig. 

Richtig ist aber, dass die Nichtwidersprüchlichkeit erst dann zum Realitätskriterium wird, wenn bei einem Phantasiegebilde Widersprüche zu erwarten gewesen wären. 

Als zweites Kriterium für die Glaubwürdigkeit wird in den Urteilsgründen vielfach ein fehlende Belastungseifer des Zeugen angesehen. Sofern der Zeuge in der Verhand-lung nicht regelrecht "ausrastet" oder eine über das Beweisthema hinausgehende 

Zusatzbelastung liefert, wird regelmäßig argumentiert, der Zeuge habe keinen Belastungseifer gezeigt und sei deshalb glaubwürdig. Das es so nicht gehen kann, ergibt sich bereits aus der Erkenntnis, dass der Lügner ein Ausdrucksverhalten an den Tag legen wird, von dem er ausgeht, am besten überzeugen zu können. Wer daher das Beweisthema schlicht bestätigt, liefert entgegen der ständigen Praxis der Gerichte- mit dieser Bestätigung kein Kriterium der Glaubhaftigkeit. 

Schließlich ist es auch nicht richtig, als Kriterium die Konstanz der Aussage für die Bejahung der Glaubwürdigkeit heranzuziehen. Bei erlebnisgestützten Aussagen ist über die Zeit mit natürlichen Vergessensprozessen und Erinnerungsverlusten zu rechnen. Andererseits muss man bei hundertprozentig konstanten Aussagen 

grundsätzlich Zweifel an deren Erlebnisbezug anmelden. 

Faktisch bleibt bei den obigen Beurteilungen von Zeugenaussagen die Wahrheitsfin-dung häufig auf der Strecke. 

Es muss vor diesem Hintergrund in Betracht gezogen werden, dass das Gericht den in der Anklageschrift genannten Zeugen grundsätzlich glauben wird. 

Tipp: 
Wenn die Unschuld des Mandanten von der Beurteilung abhängt, ob ein Zeuge glaubwürdig ist, sollte möglichst frühzeitig ein Fachanwalt für Strafrecht in die Vertei-digungsstrategie einbezogen werden. Der sich fortsetzende Rückgang der Quote für Freisprüche von 8 % im Jahre 1958 auf 2,7 % im Jahre 1996 sollte zu denken geben. 

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