Landgericht Potsdam hebt Haftbefehl auf
Die Dunkelziffer der unentdeckten Sexualdelikte ist hoch - mindestens ebenso hoch ist die Dunkelziffer zu Unrecht verhängter Freiheitsstrafen auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts.
Am Montag dieser Woche wurde der von mir vertretene Mandant nach 238 Tagen Untersuchungshaft durch das Landgericht Potsdam unter Auflagen in Freiheit entlassen. Seit seiner ersten Vernehmung bei der Polizei hatte er die schweren Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seiner Stieftochter bestritten.
Aus fachanwaltlicher Sicht erfordern die besonderen Umstände bei kindlichen Zeugen in der Regel eine wissenschaftliche Aussagenansalyse.
Weder das Amtsgericht Brandenburg noch die Staatsanwaltschaft Potsdam sind im Ermittlungsverfahren der schriftlichen Anregung einer Beamtin der Kriminalpolizei, zur Befragung des Kindes einen Psychologen hinzuzuziehen, gefolgt.
Deutliche Hinweise, auf das offensichtliche Unvermögen des Kindes, einen zusam-menhängenden Sachverhalt wiederzugeben zu können wurden ebenso ausgeblendet, wie der Hinweis einer Sozialarbeiterin auf eine Lernbehinderung des Kindes. Entgegen den Bedenken der Verteidigung ließ das Landgericht Potsdam die Anklageschrift zur Hauptverhandlung zu.
Durch das Verhalten des Kindes bei der erneuten Vernehmung durch die Vorsitzende Richterin der zweiten großen Strafkammer konnten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Kindes nicht länger unterdrückt werden. Bei der Vernehmung des Kindes stellte sich heraus, dass die Mutter ihr auf der Fahrt zum Landgericht Antworten auf die anstehenden Fragen vorgegeben hatte. Das Kind konnte sich im Ergebnis nur noch an diese Inhalte erinnern. Vor dem Hintergrund weiterer Widersprüche in der Aussage des Kindes entsprach die Strafkammer dem Antrag auf Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Kindes durch den renomierten Sachverständigen Herrn Professor Dr. Max Steller aus Berlin. Nach Vorlage des Gut-achtens wird die 2. große Strafkammer die Verhandlung fortsetzen.
Tipp:
Regelmäßig sind die Würfel bereits mit der Zulassung der Anklageschrift zu Haupt-verhandlung gefallen. Die sinkende Quote von 8 % aus 1958, unter 4 % 1988 und jetzt 2,7 % für Freisprüche spricht für sich. Entscheidend ist, ob das Gericht durch
den Verteidiger von der Notwendigkeit einer Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des mutmaßlichen Opfers überzeugt werden kann.